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Stiftung Wissenschaft und Politik
Aktualisiert: vor 14 Stunden 27 Minuten

Arktische Kollateralschäden des russischen Angriffskrieges

16. Februar 2023 - 15:02

Lange galt die Arktis als Ausnahme von der Regel einer Welt voller Konflikte – ein Hort des Friedens und der Zusammenarbeit im Eismeer. Aber die romantische Vorstellung vom arktischen Exzeptionalismus hat schon lange vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ihr Ende gefunden. Russlands abermalige Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität eines europäischen Staates war 2022 nur der Höhepunkt einer Militarisierung der russischen Außenpolitik, die Präsident Wladimir Putin schon 2007 eingeleitet hat. Russlands Krieg hat die internationalen Beziehungen auch in der Arktis schwer beschädigt und die Balance im hohen Norden zerstört. Statt Zusammenarbeit im Arktischen Rat und regel­basierter Politik internationaler Vereinbarungen herrscht in Moskau rücksichtslose nationalistische Macht­politik. Eine Rückkehr zur Kooperation erscheint derzeit weniger realistisch als weitere Anlässe zur Konfrontation.

So diskutierte Putin Ende Januar die russischen Gebietsansprüche in der Arktis mit Mitgliedern seines Sicherheitsrates, darunter Verteidigungsminister Sergei Schoigu. Diese Ansprüche überlappen sich maßgeblich mit denen von Dänemark und Kanada, wobei alle drei den Nordpol für sich reklamieren. Welches Signal Putin geben wollte, indem er dies öffentlich machte, ist unklar. Zwar fungiert die zunehmende Erderwärmung als maßgebliche Ursache für grundlegende Veränderungen in der Arktis. Droht aber am Polarkreis nun auch ein weiterer geopolitischer Brennpunkt zu entstehen?

Die Arktis als Klima-Brennpunkt

Klimatisch sind manche Gegenden in der Arktis schon heute Brennpunkte im wahrsten Sinne des Wortes: Russland registrierte im Februar 2020 den wärmsten Winter seit Beginn der regulären meteorologischen Aufzeichnungen vor 140 Jahren. Im folgenden Jahr 2021 begannen die borealen Feuer­brände in Kanada und Sibirien schon im April und fanden im Juni am weitesten nördlich statt, nämlich am 72. Breitengrad. Im August hatten die Rauch­wolken den Nordpol erreicht und am Ende brannten über 170.000 Quadratkilometer – was etwa der Hälfte der Fläche Deutschlands entspricht. Eine Studie begründete 2022 die Feststellung, dass sich die Arktis seit den 1970er Jahren nicht zweimal, sondern viermal so stark wie im globalen Durchschnitt erwärmt hat. Es gibt somit weitere Hinweise dafür, dass die Einschätzungen der Klimaforschung im Hinblick auf die Geschwindigkeit der Erderhitzung tendenziell sogar zu vorsichtig sind. Klimapolitisch rücken Arktis und Antarktis noch stärker in den Fokus.

Die Folgen der Erwärmung sind drama­tisch für Mensch und Umwelt: Indigene Völker wie Inuit verlieren ihre Heimat, Eisbären verhungern und Permafrostböden tauen. Während die kommerzielle Schifffahrt für ihre Fracht und die Versorgung von Produktionsstätten offene Fahrrinnen durch die Seiten­arme des Arktischen Ozeans benötigt, braucht die einheimische, meist indigene Bevölkerung geschlossenes Meereis, um Bewegungs­freiheit für Jagd und Fischerei zu bewahren. Das schmelzende Meereis zerstört ihre natürlichen Transportwege und erschwert die bescheidene lokale Geschäftstätigkeit. Ein Zielkonflikt, bei dem in der kanadischen Arktis meist die Inuit verlieren.

Die Arktis als sicherheitspolitischer Brennpunkt

Der Arktische Rat symbolisiert die einstmals friedliche und konstruktive Zusammenarbeit in der Region. Die Grund­prinzipien der Souveränität und der territorialen Integrität bilden seit langem die Grundlage für seine Arbeit. Der Krieg hat diese gemeinsame Arbeitsgrundlage zerstört, seitdem befinden sich der Rat und seine Arbeitsgruppen in einer Zwangspause. Sprichwörtlich auf Eis liegen nun Projekte wie die internationale Eisbären­forschung und langjährige Messreihen zum Klimawandel. Forschende verlieren den Zugang zu wichtigen Standorten in der russischen Arktis und teilweise über Jahrzehnte gepflegte Kontakte werden beendet. Dem­entsprechend befürchten über 7000 Angehörige der russischen Wissenschaft und Medien, die sich an einer Unterschriftenaktion gegen den Krieg in der Ukraine beteiligt haben, dass Russland auf viele Jahre hinaus isoliert und geächtet sein wird.

Zwar bedeutet die Pause keinen Rückzug der sieben verbleibenden Arktisstaaten aus dem Rat, aber in der dynamischen Lage des andauernden russischen Kriegseinsatzes kann auch nicht bestimmt werden, wie lange die Pause dauern und unter welchen Bedingungen sie beendet werden kann. Norwegen übernimmt 2023 den Vorsitz im Arktischen Rat und will mit seinen Aktivitäten keine Hinder­nisse für eine spätere Rückkehr zur Normalität schaffen. Aber nach dem Krieg werden erst Grundlagen für eine neue Normalität zu schaffen sein und es ist völlig offen, ob und wann der Rat jemals seine reguläre Arbeit wiederaufnehmen kann. Der Krieg verbietet eine Rückkehr zu »Business as usual«.

Eine von vielen unbeabsichtigten Kollateralschäden des Krieges ist die internationale Arktisforschung. Da Russland etwa die Hälfte der Arktis bildet, kann die Arktisforschung im gesamten Polarkreis erst nach dem Krieg wieder aufgenommen werden. Russland wird also im Nordpolarmeer allein sein, wenn in diesem Jahr eine neue Plattform frühere russische Stationen auf driften­den Eisschollen ersetzen wird. Die neue navigier­bare Plattform soll in einer zweijährigen Expedition mit einem Forschungsteam von über 30 Personen autonom durch das Eismeer driften. Dabei erhobene Daten sollen vermutlich auch den territorialen Anspruch auf Meeres­gebiete unterstützen und mit dem Namen Nordpol wird die Station als normative Kraft des Faktischen wirken – schließlich ist Präsenz in der Arktis entscheidend. Kriegsbedingt wird sie ein nationales Projekt sein und das Eismeer droht statt eines Orts der Zusammenarbeit das Abbild einer Welt voller nationalistischer Konflikte zu werden.

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Geopolitics in the Baltic Sea Region

16. Februar 2023 - 11:00

Due to its strategic immensity and opportunities for covert action, the maritime domain has become the most prominent arena of modern-day great power rivalry. In the shadow of this confrontation and the Russian war of aggression against Ukraine, the Baltic Sea is now the focus of geopolitical interest and conflict. An expression of this is the increase in hybrid activities, from acts of sabotage to the use of unidentified drones. For the Western states of the Baltic Sea region in particular, all of this highlights their dependence on fossil resources, critical maritime infrastructure, and secure trade routes. In response to the war against Ukraine and Russian naval activity in the Baltic Sea, littoral states have placed their militaries on heightened readiness. In the midst of this crisis situation, NATO allies and future allies remain locked in an unnecessary dispute over force dispositions, new structures and leadership roles. As a result, there is little sign of the German “Zeitenwende” in the Baltic Sea region.

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»Deutschlands Ansehen in der Nato hat gelitten«

16. Februar 2023 - 8:54
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Antworten auf Ihre Fragen zum Nahostkonflikt

11. Februar 2023 - 18:01
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»Zäune an EU-Grenzen helfen nicht«

11. Februar 2023 - 8:30
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Effektivität und Legitimität der G7

10. Februar 2023 - 2:00

Am 1. Januar 2023 hat Deutschland den G7-Vorsitz an Japan übergeben. Für ihr Präsidentschaftsjahr hatte sich die Bundesregierung eine progressive Agenda vor­genommen, die jedoch früh vom Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine über­lagert wurde. Dennoch sind einige materielle Erträge zu verzeichnen, darunter der Klimaclub. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen lässt sich zwar noch nicht prüfen; sehr wohl kann aber die Kriseneffektivität der G7 beurteilt werden, ebenso wie die Frage, wie legitim sie regiert. Die Kritik an mangelnder Legitimität des globalen Regierens durch informelle Foren (Club Governance) ist nicht neu. Sie macht sich daran fest, dass die von wenigen Regierungen initiierten Vorhaben sich auf eine Viel­zahl von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren auswirken, die auf den Politikprozess kaum Einfluss nehmen können. Selektive Partizipation, mangelnde Trans­parenz und fehlende Rechenschaft sind Kritikpunkte, die häufig gegen Club Gover­nance vorgebracht werden. In diesen drei Dimensionen wie auch mit Blick auf die Kriseneffektivität schneidet die G7 recht gut ab.

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Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Indien und der EU

10. Februar 2023 - 1:00

Im Sommer 2022 haben die Europäische Union (EU) und Indien erneut Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen aufgenommen, um ihre strategische Partnerschaft zu vertiefen. Darüber hinaus verhandeln die beiden Seiten über ein Investitionsschutzabkommen sowie ein Abkommen zum Schutz geographischer Herkunfts­angaben. Die EU möchte damit ihre Beziehungen zu den Staaten im Indo-Pazifik diversifizieren und unterstreicht Indiens herausgehobenen Stellenwert. Indien will durch die Koope­ra­tion mit der EU seine wirtschaftliche und technologische Modernisierung vorantreiben, die für die angestrebte größere internationale Rolle des Landes unabdingbar ist. Anders als die 2013 gescheiterten Gespräche sind die jetzigen Verhandlungen von dem Paradox gekennzeichnet, zugleich einfacher und komplizierter zu sein. Sie sind einfacher, weil die EU und Indien heute in geopolitischen Fragen vor allem mit Blick auf China mehr Übereinstimmung haben als je zuvor. Sie sind aber auch komplizierter, weil der Erfolg der Verhandlungen weiterhin von schwierigen Zugeständnissen auf beiden Seiten abhängt. Doch erneu­t zu scheitern ist weder für Indien noch für die EU mit Blick auf die Zukunft ihrer strategischen Partnerschaft eine Option.

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EU-Beitritt der Ukraine ist ein »Balanceakt«

9. Februar 2023 - 14:19
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Western Balkan Foreign and Security Ties with External Actors

9. Februar 2023 - 10:00

Even though the six Western Balkan countries (WB6) have close political ties with the EU, their alignment with the EU’s Common Foreign and Security Policy (CFSP) has in­creasingly come into focus since the beginning of the Russian war of aggression in Ukraine. The EU should take a differentiated view of the WB6’s political and security cooperation with external actors such as Russia, China and Turkey. Within the WB6, the two “outliers” of Serbia and Bosnia-Herzegovina’s Republika Srpska use their for­eign and security relations with Russia to achieve their own political goals. While Serbia seeks support for its Kosovo policy, Republika Srpska is trying to get backing for its separatist tendencies. The WB6 are not expected to end their cooperation with the aforementioned external actors in the near future. Nonetheless, in today’s shift­ing geopolitical arena, the EU must set priorities that bind the WB6’s outliers to the CFSP.

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The Post-Erdoğan Vision of Turkish Opposition: Opportunities and Limitations

9. Februar 2023 - 9:00

Nearly a year after its formation, the Nation Alliance, consisting of six opposition par­ties (“Table of Six”), finally started to act like a full-fledged electoral alliance against the ruling bloc under President Recep Tayyip Erdoğan. The six opposition leaders have long been criticised for failing to take concrete steps towards embodying a viable po­lit­ical alternative to the People’s Alliance of the ruling Justice and Development Party (AKP) and the Nationalist Movement Party (MHP) since they publicly signed the joint manifesto for Turkey’s transition into the “Strengthened Parliamentary System” in February 2022. Although the alliance has yet to announce its joint presidential can­didate, it has manifested an unprecedentedly comprehensive joint platform in nine policy areas, including the rule of law, public administration, social policy, economy, and foreign policy. The 200-page joint document provides a comprehensive overview of what changes Turkey can be expected to go through in the short and medium terms should the Nation Alliance manage to defeat President Erdoğan’s ruling bloc in the up­coming elections, which will probably take place on 14 May 2023. Even though it would not immediately offer a solution to various issues in Turkey–EU relations, a pos­sible opposition victory could bring bilateral relations back to an institutional frame­work, whereby both parties can cooperate in a productive way to work out their problems and focus on common interests.

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Europas Energiekrise und der östliche Mittelmeerraum

9. Februar 2023 - 1:00

Angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine und der gefährdeten Energie­versorgung Europas gewinnt der östliche Mittelmeerraum wieder an politischer Aufmerksamkeit. Im Fokus stehen dabei einerseits bisher unerschlossene Erdgas­vorkommen und andererseits Perspektiven für eine zukünftige Versorgung mit grünem Strom und Wasserstoff. Doch die Konflikte Griechenlands und der Republik Zypern mit der Türkei bedrohen die Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Die EU steht vor einer dreifachen Herausforderung: Sie muss das kurzfristige Problem der Energie­sicherheit mit der langfristigen Aufgabe der Energiewende zusammendenken, ihren beiden Mitgliedstaaten Griechenland und Zypern zur Seite stehen und gleichzeitig prüfen, inwieweit eine Einbindung der Türkei in laufende und künftige Projekte der regionalen Energiekooperation gelingen bzw. deeskalierend wirken kann.

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Rückfall in die Gewalt

8. Februar 2023 - 11:20
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»Am Ende ist es eine Gratwanderung«

8. Februar 2023 - 10:07
Wie stark ist der Westen in den Ukrainekrieg verwickelt? Völkerrechtsexperte Christian Schaller plädiert dafür, nicht leichtfertig zu behaupten, Deutschland sei keine Konfliktpartei.
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EU-Migrationspolitik: Partnerschaften statt Visahebel

7. Februar 2023 - 12:16

In dieser Woche kommen die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem außerordentlichen Gipfel in Brüssel zusammen. Ein Anlass sind die wieder steigenden Flüchtlingszahlen über das Mittelmeer und die Balkanstaaten. Zugleich werden die Kapazitäten für die Aufnahme von Flüchtlingen durch den russischen Angriffskrieg weiterhin stark in Anspruch genommen. Aber auch innenpolitische Veränderungen in mehreren EU-Mitgliedsstaaten haben dazu geführt, dass Forderungen nach mehr Abschiebungen von nicht Schutzbedürftigen nun ganz oben auf der Agenda stehen.

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Rückkehrer aus der EU in ihre Heimatländer deutlich gesunken. Als zentrales Problem gilt die fehlende Bereitschaft der Herkunftsländer, ihre Staatsbürgerinnen und -bürger zurückzunehmen. Deshalb hat die EU bereits 2019 den sogenannten Visahebel eingeführt. Danach soll die EU-Kommission regelmäßig die Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer bei der Rückübernahme überprüfen. Ist sie der Auffassung, dass ein Land nicht in ausreichendem Maße kooperiert, kann sie dem Rat der Innenminister vorschlagen, die legale Einreise aus dem betreffenden Land zu erschweren, beispielsweise durch höhere Visumgebühren, Verlängerung der Bearbeitungszeit oder Verkürzung der Gültigkeitsdauer. Die Verschärfungen sollen auch die Eliten des Herkunftslandes zu spüren bekommen.

 

Das Problem mit dem Visahebel

Dieser Ansatz geht auf informelle Praktiken einiger EU-Staaten zurück. So hatte Frankreich 2021 die Visavergabe gegenüber Maghreb-Staaten zeitweise eingeschränkt. Da jedoch Schengen-Visa nach gemeinsamen Kriterien vergeben werden sollen, ist ein solcher Alleingang problematisch. Auf EU-Ebene wurde der Visahebel bislang nur zurückhaltend eingesetzt. Einige Monate vor Frankreichs Maßnahmen hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, Visabeschränkungen gegen Bangladesch, Gambia und Irak einzuleiten. Der EU-Innenministerrat beschloss diese dann aber nur für Gambia. Unter anderem wurde die Bearbeitungszeit für Visa auf 45 Tage verdreifacht und die Visumsgebühr auf 120 Euro verdoppelt.

Es ist kein Zufall, dass der Visahebel zunächst nur bei einem kleinen Land wie Gambia angewendet wurde. In anderen Fällen sind die EU und ihre Mitgliedstaaten oft in einer weit schwächeren Verhandlungsposition und auf andere Formen der Zusammenarbeit angewiesen. So musste 2021 der Irak eingebunden werden, um die zynische Politik des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko zu stoppen, der Schutzsuchende – vorrangig Kurden aus dem Nordirak – nach Belarus eingeladen hatte, um sie dann an die EU-Außengrenze zu treiben. Spanien wiederum vollzog kürzlich eine außenpolitische Wende und erkennt nun die umstrittene Herrschaft Marokkos über die Westsahara an, damit weniger irreguläre Zuwanderer auf spanisches Gebiet gelangen. Und Italien zieht alle Register, um die migrations- und energiepolitische Zusammenarbeit mit Libyen auszubauen.

Umfassende Migrationspartnerschaften als Alternative

Meistens sitzt die EU bei der Migrationssteuerung eben nicht am längeren Hebel. Deshalb sollte sie vorrangig an den Interessen der Herkunftsländer ansetzen. Hierzu gehören vor allem Migrationspartnerschaften. Der Vorschlag ist zwar nicht neu. Allerdings fokussieren sich alle dazugehörigen Vorschläge der EU-Kommission seit 2007 auf die Reduzierung irregulärer Wanderung. Entwicklungspolitische Aspekte kommen zu kurz, und die bisherigen Partnerschaften enthalten kaum Angebote zur Förderung geregelter Migration und Mobilität. Ohnehin setzten sich die EU-Staaten nicht wirklich für die Umsetzung der Partnerschaften ein.

Eine gemeinsame europäische Linie, die nicht nur auf Abschottung setzt, bleibt aber sinnvoll und notwendig. So hat die große Fluchtbewegung aus der Ukraine die Mitgliedstaaten zwar in unterschiedlicher Art und ungleichem Umfang betroffen. Sie konnte aber durch die Entscheidung für einen einheitlichen und schnellen Schutzstatus bisher bewältigt werden. Alle Erfahrungen seit 2016 zeigen, dass der nationale Überbietungswettbewerb an Härte nicht weiterführt, denn der Wiederanstieg der Zuwanderung von Schutzsuchenden über das Mittelmeer und dem westlichen Balkan ist primär durch Konflikt- und Notlagen wie in Afghanistan geprägt. In solche Länder kann aus rechtlichen und praktischen Gründen ohnehin nicht zurückgeführt werden. Zudem spüren alle EU-Staaten den Arbeitskräftemangel, der eine andere Einwanderungspolitik verlangt.

Der Europäische Rat wird leider nicht von dieser Einsicht geleitet. Zu erwarten ist, dass die Regierungschefs mehr Rückführungen und die Nutzung von Druckmitteln wie dem Visahebel priorisieren. Dies wird in der Praxis kaum weiterführen. Stattdessen sollten Alternativen vorangetrieben werden, eventuell in kleineren Koalitionen von Mitgliedstaaten. Am Anfang sollte der systematische Austausch mit den Herkunftsländern über ihre Interessen stehen. Dann könnten passende migrationspolitische Instrumente ausgewählt werden, zum Beispiel Ausbildungsprojekte, Hilfen für den Verwaltungs- und Kapazitätsaufbau, eine Rückkehrunterstützung und Reintegrationsmaßnahmen. Vor allem müssen Möglichkeiten für die legale Ausbildungs- und Arbeitsmigration endlich über das Stadium von Pilotprojekten hinausgehen.

Solche Abkommen müssen nicht zwingend EU-Abkommen sein; sie könnten auch bilateral geschlossen werden. Den Rahmen könnte jeweils eine Absichtserklärung bilden, in der Elemente mit bindendem Rechtscharakter aufgeführt werden – etwa ein Rückübernahme-Übereinkommen sowie Abkommen über Praktika und Arbeitsmigration. Möglich wären aber auch zusätzliche und eventuell von einzelnen Ressorts finanzierte Vorhaben wie Grenzsicherung, Reintegrationsprogramme, Kapazitätsaufbau und Ausbildungsprogramme vor Ort. Die Abkommen müssten regelmäßig überprüft werden.

Natürlich können auch solche Migrationspartnerschaften nicht alle Probleme lösen, aber sie verbessern die Zusammenarbeit und tragen zu einer auch menschlich korrekten Rückkehrpolitik bei –  vor allem wenn Reintegrationsprojekte fester Bestandteil sind. Die Erfahrungen der Schweiz mit ihren bisherigen acht Migrationspartnerschaften zeigen, dass solche Ansätze funktionieren können. Und die Chancen für solche zukunftsweisenden Ansätze sind in Deutschland kürzlich deutlich gestiegen. Seit Anfang Februar hat die Bundesregierung einen Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen – ein Amt, dass es bislang nicht gab.

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